Ehemalige verwilderte Katzen und ihre Bedürfnisse
Wir alle kennen sie. Die mutigen Stubentiger, die beim Spaziergang direkt auf einen zu kommen und gestreichelt werden wollen. Youtube und Co. sind voll mit tollkühnen Katzen, die scheinbar keine Angst kennen. Und spätestens seit Bob dem Streuner wissen wir alle, wie cool Katzen sein können.
Dies führt zu Vorstellungen und Wünschen wie der zukünftige pelzige Partner sein sollte. Man malt sich in Gedanken aus, wie die erste Begegnung mit seinem Tier sein wird. Und wird bitterlich enttäuscht. Denn selbst unter den menschenverrückten Katzen sind die wenigsten so tollkühn wie Bob.
Und dann gibt es ganz viele ehemalige Verwilderte. Nur was sind das denn genau für Katzen?
Als junge Kätzchen durchlaufen alle eine Prägungsphase, in der sie lernen, dass sie eine Katze sind und wie sie auf andere Lebewesen reagieren. Mit ca. 12 Wochen ist diese Phase abgeschlossen. Die Prägung findet ganz tief im Gehirn statt und kann nicht rückgängig gemacht werden. Genau aus diesem Grund brauchen Kätzchen dringend Artgenossen wenn sie aufwachsen.
Viele Kätzchen wachsen ohne nahen Menschenkontakt auf. Das heisst, sie haben weder positive noch negative Erfahrungen mit dem Menschen gemacht. Viele sind erst mal verängstigt vor so einem grossen Lebewesen, doch lernen sie mit der Zeit, dass der Mensch nichts böses will, ja sogar ganz nett sein kann. Je jünger eine Katze ist, umso leichter fällt es ihr dies zu lernen und Vertrauen zu fassen. Diese Katzen sind oft auf ihre Bezugsperson oder Familie fixiert und gehen Fremden aus dem Weg.
Katzen haben ganz unterschiedliche Charaktere. Es gibt mutige, ängstliche, schlaue, vorsichtige, extrovertierte. Je nachdem kann dies hilfreich sein oder im Weg stehen.
Es kommt immer wieder vor, dass eine verwilderte Katze nach der Kastration nicht in ihr altes Revier zurück kann. Bauernhöfe, die gut zu den Katzen schauen, sind meistens schon mehr als gut besetzt, da es sich unter Katzen herumspricht, wo es Futter gibt. So kommt es immer Mal wieder vor, dass solche erwachsene Katzen in der Vermittlung sind.
Für die Pflegestelle bedeutet dies, dass man sich genau so gut einen Fuchs in die Wohnung holen könnte. Meistens sind es Mütter mit ihren Kitten. Damit sie händelbar sind, kommen sie zur Eingewöhung in einen kleinen Raum, manchmal auch in einen grossen Käfig. In der Angst können solche Katzen glatte Wände hoch klettern, sie würden die schmalste Lücke entdecken und sich dort verstecken. Ein offenes Fenster, und wäre es nur gekippt im 3. Stock, wäre die Garantie, dass sie dort raus springen. Von Anfassen ist man noch weit entfernt, man würde angegriffen werden und könnte sich ernsthaft verletzen.
Solche Katzen leben in der Regel ein Leben im Verborgenen. Sie gehen hauptsächlich nachts raus, rennen bei der kleinsten Gefahr weg und sind quasi unsichtbar. Viele Landwirte wissen gar nicht, dass so eine scheue Katze bei ihnen lebt. Erst wenn sie die Jungen finden. Diese Lebensweise behalten sie ein Stückweit auch bei.
Mit viel Liebe und Geduld lernen diese Katzen, dass ihr Mensch, in diesem Fall die Pflegestelle, es gut mit ihnen meinen. Nach Wochen bis Monaten, manchmal noch länger, lernt die Katze zu vertrauen.
Als erstes zeigt sie sich plötzlich offen in der Wohnung, dann kommt sie wenn man für Futter ruft und eines Tages kommt der Moment wo man sie streicheln kann. Wenn sie eine „normale“ Katze geworden ist. Aber leider nur bei ihrem vertrauten Menschen. Kommt Besuch zeigt sie wieder ihre wilde Seite und verschwindet. Es braucht also sehr viel Geduld wenn man sich für so eine Katze entscheidet.
Kommt nun der grosse Tag, an dem sie tatsächlich ein zu Hause gefunden hat und ausziehen darf, bedeutet dies grossen Stress für die Katze.
Die neue Umgebung, Gerüche, Geräusche und neuen Menschen machen ihr so Angst, dass sie wieder in ihr altes Verhalten zurückfallen wird. Darum braucht so eine Katze eine längere Eingewöhnungszeit und besonders vorsichtige Menschen, damit sie nicht aus Versehen ins Freie gelangen kann. Keine Sorge, man fängt nicht bei Null an. Auch wenn es sich so anfühlen mag.
Damit man weiss, wo sich die Katze befindet, empfiehlt es sich zum Beispiel das Büro einzurichten und die Katze dort einzuquartieren. So weiss man wo sie sich aufhält und kann in der Wohnung trotzdem lüften ohne Angst zu haben, dass die Katze in Panik aus dem Fenster springt.
Nach ein zwei Tagen kann man versuchen langsam Kontakt aufzunehmen. Vielleicht Mal ein Leckerli hinwerfen, sich hinsetzen und ein Buch lesen oder einfach da sein. Auf keinen Fall die Katze bedrängen. Sie könnte beissen und kratzen. Nicht weil sie böse ist, sondern weil sie Angst hat und ihr Leben verteidigt.
Nach und nach kann man ihr dann die ganze Wohnung zur Verfügung stellen. Vorsicht aber mit dem Katzentürli. Unbedingt etwas davor stellen. Nur verriegeln reicht nicht. Eine Katze die raus will, hat den Willen es aufzukriegen und wird es auch schaffen.
Dann wird die Katze alle Schritte wie in der Pflegestelle durchlaufen. Sie wird sich mehr zeigen, kommt plötzlich für Futter und eines Tages darf man sie streicheln.
Der erste Freigang sollte erst erfolgen, wenn sie auf zurufen kommt und man nahe dran ist sie streicheln zu können. Denn sobald sie eine Pfote über die Schwelle setzt, wird sie erneut in ihr altes Muster verfallen und sich sehr scheu zeigen. Selbst ihr Mensch wird sie draussen beim ersten Freigang nicht mehr anfassen können. Trotzdem muss man sich die Zeit nehmen und mit ihr draussen bleiben. Ihr immer wieder rufen, evt. Leckerli zuwerfen und ganz wichtig, die Türe offen lassen. Versetzt sie etwas in Panik, so hat sie die Möglichkeit sofort wieder rein zu rennen. Dies muss man an mehreren Tagen wiederholen, damit die Katze lernen kann, wo ihr zu Hause ist, bevor man ihr die Katzentüre zur Verfügung stellt.
Aus diesem Grund brauchen ehemalige Wilde im neuen zu Hause immer eine Katzentür, damit sie jederzeit ins sichere Haus flüchten können. Selbst wenn sie die Katzentüre noch erlernen müssen. Katzenleitern sind problematisch. Die Gefahr, dass es nicht funktioniert ist sehr hoch. Es kann eine gute Ergänzung sein, sollte aber nicht der einzige Weg ins sichere Haus sein.
Ebenso eine ruhigere und ländlichere Umgebung hilft. Denn durch Gärten schlendern ist nicht so ihr Ding. Schliesslich gibt es da Menschen. Kleine Kinder sind auch nicht geeignet. Ältere Kinder, die geduldig und einfühlsam sind, können eine Bereicherung sein, wenn sie ihrer Katze stundenlang vorlesen oder vorsichtig versuchen sie zum Spiel aufzufordern.
Lässt man sich von all dem nicht abschrecken, wird man in einer ehemaligen wilden Katze einen Freund fürs Leben finden. Als ihr Mensch vergisst man gerne, welches Sonderrecht man geniesst. Man bemerkt es erst wieder, wenn jemand auf Besuch ist und Frau oder Herr Büsi sich partout nicht zeigen möchte. Als letzten Pluspunkt für so eine Katze muss erwähnt werden, dass sie meist sozial sehr verträglich sind und sich super als Zweitkatze eignen und sich diese auch gerne als Vorbild nehmen.